Das denʞkollektiv feierte seine Geburtsstunde 2019 an einem verregneten Herbstabend, wasser- und lichtdurchlässig und bei Kaffee und Kuchen: Martina Bengert und Max Walther kamen an diesem Tag von einem Workshop zu Carla Lonzi, den Max organisiert hatte. Thomas Sojer arbeitete am andern Ufer der Gera im Erfurter Max-Weber-Kolleg. Vielleicht lag es am Regen, an einem Zuckerschock oder an viel zu viel Kaffee für diesen Tag, jedenfalls wurde das Café Rommel zum Schauplatz einer kollektiven Efferveszenz: Diese schrieb ein für alle Mal die Überzeugung in den dreien ein, dass das Denken und Leben Simone Weils (1909-1943), so stark es auf die Verteidigung des Individuums pochte, unbedingt und alternativlos ein Zusammen-Denken, Zusammen-Arbeiten und ein Zusammen-Lesen verlangt. Zusammen-Lesen – colligere – Kollektiv.
Ein zentrales Anliegen des denʞkollektivs ist die Entwicklung und Durchführung neuer Formate in der forschend-fragenden Beschäftigung mit Simone Weil; solche, die besonders auf Begegnung und Austausch abstellen.
Im Januar 2020 saßen Martina, Max und Tom im Berliner Wohnzimmer von Thomas Macho (wieder mit Kaffee) und verhandelten gemeinsam, nun zu viert, Strategien, wie Simone Weil in der aktuellen Diskurslandschaft als wahrnehmbare Stimme sprechen kann. Alle Pläne, die dort entstanden, wurden kurz darauf von der Coronapandemie durchkreuzt und allmählich und zuerst unfreiwillig ins Digitale ›übersetzt‹. So entstand eine Homepage (www.simoneweil-denkkollektiv.de), die mittlerweile zu einer interaktiven Plattform internationaler Simone-Weil-Forschung und so zum Knotenpunkt zahlreicher Forschungs- und Kunstprojekte wurde. Parallel zur Arbeit an der Homepage startete ein monatlich stattfindender englischsprachiger Onlinelesekreis, der sich über Teilnehmer:innen unter anderem aus Asien, den Amerikas und ganz Europa freute. Die erste Tagung des denʞkollektivs realisierte sich im Juli 2020 digital: death | text | resonance – Simone Weil and Writing To(wards) Death. Als Keynotes sprachen Hartmut Rosa und Simone Kotva über das denkende Schreiben, schreibendes Sterben und zerschriebene Resonanzkörper. Es folgten weitere digitale Veranstaltungen und Tagungen, wie ein digitaler Booklaunch von Simone Kotvas »Effort and Grace«, und im sich weiterspinnenden Netzwerk eine vielseitige Kooperation in Lehre und Forschung. So auch mit Sandra Lehmann und Esther Heinrich von der Uni Wien. In Wien fand 2021, in Folge eines kooperativen Seminars zwischen der Humboldt-Universität zu Berlin und der Uni Wien, der Studierendenworkshop Arbeit an Simone Weil und die Fachtagung Attention. Öffnungen durchqueren nach Simone Weil statt.
In Ergänzung zu wissenschaftlichen Formaten steht die Zusammenarbeit mit Künstler:innen und Schriftsteller:innen im Fokus der kollektiven Arbeit: Gemeinsam mit dem in Paris lebenden Künstler Thomas Hirschhorn gestaltete das denʞkollektiv ein Dossier der Istanbuler Kunstzeitschrift Art Unlimited, herausgegeben von Shulamit Bruckstein, und trat 2021 beim Steirischen Herbst sowie 2022 in der HGB in Leipzig in Dialog mit Hirschhorns Arbeiten zu Simone Weil auf. Mit den Schriftsteller:innen Chris Kraus und Mark von Schlegell entstand für die Homepage ein Textgeflecht, das irgendwo zwischen (Selbst-) Dokument und Fiktion einen Ausdruck für Lektüren sucht, die das gängig Format von Rezeption herausfordert.
Ein besonderes Veranstaltungsprojekt des denʞkollektivs ist die Tischgesprächs-Reihe metaxy[l]ophon, an der laufend getüftelt wird. Den Auftakt machten Jane Bennett und Simone Kotva im Herbst 2021. Die zweite Auflage bestreiten Kate Kirkpatrick und Inese Radzins im Mai 2023 (metaxy[l]ophon n°2 – denʞkollektiv (hu-berlin.de) )
Komplementär zur Arbeit ad extra mit Kooperationen und Veranstaltungen versuchen Martina, Max und Thomas ihre je eigene Forschung ad intra als Kollektiv im gemeinsamen Dialog zu vertiefen. Dazu unternehmen sie beispielsweise Archivaufenthalte zu den Manuskripten Simone Weils in der BNF in Paris. Zudem arbeiten sie an mehreren Buchprojekten, in denen noch unübersetztes und unerschlossenes Material von Simone Weil im deutschen Sprachraum zugänglich wird. Für die Arbeit ad intra sucht das denʞkollektiv nicht zuletztimmer wieder kontemplative Rückzugsorte, wie kürzlich das Kloster der Weil-Forscherin Sr. Britta Müller-Schauenburg in München.